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Achtung auf die Grenzen!
 
Die Akte "Mad", oder wie J. Edgar Hoover den Drei-Dollar-Schein von Alfred E. Neumann konfiszierte
 
VON WILLI WINKLER
 
Mittwoch, 5. März 2003 MEDIEN Süddeutsche Zeitung

 
Das Land suhlte sich in Popfarben, aus den Music-Boxen dröhnte subversiver Lärm, unter jedem Petticoat verbarg sich womöglich ein Kommunist. Aber ein Mann hielt eisern stand in diesen seinsvergessenen Fünfzigern. Ein Mann stand wie ein Fels in der Brandung von Unmoral und roter Gefahr. Ein Mann wachte, wenn alle anderen schliefen, und das war natürlich J. Edgar Hoover, fast fünfzig Jahre lang der Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI).
 
Hoover hatte über jeden Politiker und Geschäftsmann Akten angelegt, und fürsorglich, wie er war, ließ er mögliche Staatsfeinde schon abhören, ehe sie auch nur daran dachten, den Staat zu bekriegen. Als sich der Prediger Martin Luther King beklagte, dass sich Schwarze in den Südstaaten nicht an das FBI wenden könnten, spielte Hoover ausgewählten Journalisten Bänder vor, die Kings außerehelichen Geschlechtsverkehr dokumentierten und beweisen sollten, wie "moralisch degeneriert" der Bürgerrechtler war. Selbst John F. Kennedy und sein Bruder Robert fürchteten den "mächtigsten Beamten in der amerikanischen Regierungsgeschichte" (New York Times). Für die amerikanische Mehrheit garantierte der Mann mit dem Bulldoggen-Gesicht Sicherheit und Ordnung. Schließlich hatte er in den Dreißigern den Kampf gegen die Chicago- Mafia gewonnen und sich dann in der Abwehr deutscher Spione nützlich gemacht.
 
Auch die Autoren der Satire-Zeitschrift MAD wollten vom gewaltigen Ruhm des großen Mannes profitieren. Mitten im Kalten Krieg - McCarthys Winken mit der "roten Gefahr" war noch nicht lange her - bot MAD ein Spiel namens "Drückeberger" an. Eine hohe Punktezahl konnte erreichen, wer sich wehruntauglich zeigte. Mitspieler im oberen Bereich erwarben den Anspruch auf einen "Offiziellen Drückeberger-Mitgliedsausweis" und wurden aufgefordert, diesen schriftlich bei J.Edgar Hoover zu beantragen.
 
Offenbar folgten dieser Aufforderung zahlreiche Leser, und Hoover tobte. Er jagte 1958 zwei Agenten in die Redaktion der Zeitschrift und drohte für den Wiederholungsfall Maßnahmen an. Außerdem verlangte er einen Entschuldigungsbrief. Die verantwortlichen Redakteure schrieben den Brief und wussten sich nicht zu fassen vor Lachen.Sie waren auf eine Goldader gestoßen. Zwei Jahre später priesen sie in einem Artikel die neueste Wunderwaffe des FBI. "Probieren Sie das J.-Edgar-Hoover-Haarwasser. Spezialreiniger gehen in Sekundenschnelle ans Werk, säubern Sie und beseitigen diese schlimmen ausländischen Elemente. Sie werden begeistert sein, wenn Sie merken, was das Produkt mit Ihren roten Zellen anrichtet!"
 
Das FBI schickte diesmal kein Rollkommando, wenn es auch erheblich grummelte, wie man der inzwischen freigegebenen MAD-Akte entnehmen darf. Ein special agent machte den anderen auf die "angeblich humoristische Anzeige" aufmerksam und vergaß nicht zu erwähnen, wo sie erschienen war, in einem Magazin nämlich, das "seinen Lesern die Schrecken des Krieges vorgeführt" hatte. Das klingt sehr zeitgenössisch, aber schließlich hat ein Staat noch nie besonders viel verkraftet, wenn er Defätismus witterte. MAD, 1952 gegründet, blieb über Jahrzehnte das einzige halbwegs oppositionelle Organ in den USA. 1973, als Richard Nixon wegen der Watergate- Affäre unter Druck geriet und aus dem Weißen Haus ziehen musste, erreichte MAD seine höchste Auflage von 2,4 Millionen.
 
Das Magazin, heute im Besitz einer Tochter des allumfassenden Medienverbundes AOL-TimeWarner, verzichtete bis ins Jahr 2001 auf alle Anzeigen und bewahrte sich damit seine Unabhängigkeit. Oft nur recht holzschnittig, gern auch derb und mit der gehörigen Hinterfotzigkeit wurden neue Trends, neue Politiker und neue Kriege durchgetan. Die (überwiegend männliche) College-Jugend freute sich vor allem am immer wieder überraschenden Auftauchen des zahnlückigen MAD-Maskottchens AlfredE.Neumann und wollte ihn oft mehrtausendfach wenn auch vergeblich zum Präsidenten wählen. Der Witz war nicht ohne weiteres aus dem Amerikanischen zu übertragen. MAD auf Deutsch zu machen war folglich nicht einfach. Gelungen ist das nur dem newyorkgestählten, großartigen Chefredakteur Herbert Feuerstein.
 
Die FBI-Akten begleiten das Satire-Unternehmen von 1957 bis 1971, sie verzeichnen dabei 36 verschiedene subversive Vorfälle und sammeln alle Denunziationsschreiben von aufmerksamen Bürgern, die das Heft im Jugendzimmer entdeckt haben und Meldung über diese "kommunistische Propaganda" oder deren "bedenklichen Einfluss auf unsere empfindsame Jugend" machten: "Satire gut und schön, aber diese mangelnde Achtung für unsere amerikanische Tradition, für unsere Lebensweise, ist doch erschreckend." Der Petzer geht noch weiter: "Die obersten Männer unseres Landes werden als Idioten dargestellt, und in der Oktober-Ausgabe, da werden Sie verspottet!"
 
Schlimmschlimm. Für den ordentlichen Kirchgeher und Nixon-Wähler war es nicht ohne weiteres zu verkraften, wenn MAD sich herausnahm, die Schulbücher für die Kleinen auf den neuesten Stand zu bringen. In der Lerneinheit "Wie werde ich ein guter Erpresser?" wurde das Muster für einen erfolgreichen Drohbrief entworfen: "Lieber Freund, mir geht es gut. Pack 25 000 Dollar in nicht markierten Scheinen in eine Papiertüte und deponiere sie hinter dem Eisenbahncontainer, oder Du wirst Dein Kind niemals wiedersehen. Dein Freund, verzweifelt."
 
Obwohl der Volksunwillen immer gern zur Stelle war, ließen Hoovers Agenten das bunte Treiben der Humoriker schließlich so bunt sein, wie es wollte. Allerdings, beim Geld hört der Spaß bekanntlich auf. 1967 druckte MAD einen Drei-Dollar-Schein, und statt eines Präsidenten zierte ihn natürlich der gute Hausgeist Alfred E.Neumann. Damals waren die ersten Geldwechselautomaten eingeführt worden, und wenn man diesen nur einseitig bedruckten Schein ausschnitt und in den Schlitz schob, bekam man jedenfalls im sündigen Las Vegas Kleingeld zurück. Wieder erschienen die Beamten, verlangten die Auslieferung des "Falschgeldes" und wollten zu den Druckplatten geführt werden, die allerdings längst zerstört waren. Gute alte Zeit, als Satire noch etwas bewegte!
 
Irgendwann verschwand selbst MAD vom Radar des FBI, und das Büro konnte sich wieder der Überwachung von missliebigen Gewerkschaftern, Politikern und des einen oder anderen Gangsters widmen. J.Edgar Hoover opferte sich als guter Beamter bis in seine letzten Tage am Schreibtisch.
 
Einmal unterlief ihm dabei ein Lapsus, der die MAD-Leute, hätten sie ihn erfunden, wahrscheinlich wegen unamerikanischer Umtriebe ins Gefängnis gebracht hätte. Hoover versah jeden Bericht, den seine Spezialagenten einreichten, mit oft exzessiven Randnotizen. Ein Sachbearbeiter hatte unberaten den ganzen Rand voll getippt, so dass Hoover nur mehr Platz für die Bemerkung blieb: "Achtung auf die Grenzen!"
 
Er meinte den gehörigen Papierrand, aber da von ihm nur Äußerungen von nationaler Tragweite erwartet wurden, ließen seine Unterleute weisungsgemäß über mehrere Wochen die Grenzen nach Mexiko und Kanada beobachten.
 
Das Böse ist immer und überall.

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