ABT.
100 BUNTE HEFTE
Der folgende Artikel
stammt aus "DIE WELT" vom 18.12.2006.
Verrückt
Bestseller für die Pubertät
Manches ist immer noch lustig:
Die deutsche Neuauflage des einstigen Kult-Magazins "MAD" feiert
Jubiläum. Das "MAD" von heute hat nicht nur Farbe, sondern
auch wesentlich mehr Gags über deutsche Prominente und deutsche Verhältnisse
von hiesigen Autoren und Zeichnern.
Von Matthias Heine
Durch die Zahnlücke des "MAD"-Maskottchens Alfred E. Neumann
pfeift der eisige Wind des Auflagenverlusts: 28.533 Exemplare der deutschen
Ausgabe wurden im 3. Quartal 2006 verkauft - gegenüber einer IVW-geprüften
Verkaufszahl von 97 052 Stück im 2. Quartal 2000 wirkt diese Zahl kläglich.
Aber immerhin: Es waren sogar mal noch weniger, und verglichen mit dem
Tiefstand von 22.708 Exemplaren im zweiten Vierteljahr 2005 sieht die
derzeitige Auflage schon wieder etwas rosiger aus. So wird bei Chefredakteur
Jo Löffler und dem Panini-Verlag in Stuttgart vielleicht doch so etwas
wie Feierstimmung aufkommen, wenn heute die Nr. 100 des neuen deutschen "MAD"
erscheint.
Die Farbe ist der auffälligste Unterschied zu den guten alten Zeiten
des deutschen "MAD", als das Magazin den heute 50jährigen
durch die Pubertät half und sein Chefredakteur Herbert Feuerstein hieß.
Früher wurde das Heft in Schwarzweiß gedruckt. Der durchgängige
Vierfarbdruck war eine der wichtigsten Zutaten, mit denen Dino 1998 MAD
wieder für Deutsche interessant machen wollte. Diese hatten im Laufe
der Jahre das Interesse an "Spion & Spion", Sergio Aragones
den seitenlangen Parodien großer Hollywood-Filme verloren. Obendrein
hatte sich Don Martin (1931-2000) 1987 mit seinem US-Verleger überworfen
und das Fehlen neuer Zeichnungen vom Superstar des "MAD"-Universums
schadete dem Heft. Auch deshalb wurde der hiesige Ableger 1995 eingestellt.
Drei Jahre später brachte die Wiederkehr nicht nur Farbe, sondern auch
wesentlich mehr Gags über deutsche Prominente und deutsche Verhältnisse
von hiesigen Autoren und Zeichnern. Das US-Original ist mehr denn je nur
noch ein Fundus, aus dem man sich großzügig bedient. Zwar kann
sich der Seniorenleser auf Anhieb daran erinnern, die Don-Martin-Cartoons im
100seitigen Jubiläumsheft ca. 1978 schon einmal gesehen zu haben, aber
dem Teenager von heute dürfte das ziemlich egal sein. Und zumindest die
Strips, in denen sich der fast 70jährige Sergio Aragones über
Zivilisationsphänomene wie Einkaufen und Wintersport lustig macht, sind
wohl etwas neuer: Frische Pasta und Snowboards waren 1978 noch kein Thema.
Solche Klassiker wirken ohnehin ein bisschen wie Zugeständnisse an ältere
Leser, die sich aus Sehnsucht nach der guten alten Feuerstein-Zeit mal
wieder zum Kiosk verirrt haben. Vor denen glaubt man sich bei "MAD"
immer wieder rechtfertigen zu müssen. Panini-Sprecher Steffen Volker räumt
ein: "Manch ein "MAD"-Purist wendete dem Magazin im neuen
Gewand den Rücken zu."
Doch die Flüchtlinge sind wahrscheinlich schlicht dem "MAD"-Alter
entwachsen: Das deutsche Heft war immer ein Teenager-Phänomen und die
großen Parodien auf Siebziger-Blockbuster wie "Flammendes Inferno"
oder "Der weiße Hai" erschienen der junge Klientel vor allem
deshalb so interessant, weil sie diese Filme im Kino noch gar nicht sehen
durfte.
So gesehen ist "MAD" sich absolut treu geblieben, wenn es
heutzutage vor allem über Dieter Bohlen, Tokio Hotel, La Fee, über
das harte Los von Klassenclowns, scharfe Weiber in der Sportumkleidekabine,
über verrückt gewordene Eltern und die "100 dümmsten SMS
aller Zeiten" spottet. Unvermeidlich sind natürlich auch hier Gags
über den Welt-Witz-Führer George Bush und sein deutsches Pendant
Angela Merkel. Als Relikt aus ganz alten Zeiten ist wieder Ivica Astalos
dabei, der in den 70ern zusammen mit Feuerstein das deutsche "MAD"
prägte. Doch der neue Star unter den einheimischen Zeichnern heißt
Ralph Ruthe und hat mittlerweile ein eigenes kleines Merchandising-Imperium
mit etwa 30 Büchern. Dazu kommen dann Übersetzungen aus dem
amerikanischen "MAD" von jüngeren Autoren wie Tom Cheney oder
Teresa Burns Parkhurst.
Richtig erwachsen war "MAD" nie. Noch nicht einmal in den ersten
Jahren der US-Ausgabe, als das 1952 unter dem Titel "Tales Calculated
To Drive You Mad" (Geschichten, die Sie in den Wahnsinn treiben sollen)
gegründete Magazin unter der Federführung des Autors Harvey
Kurtzman und des Verlegers William Gaines den Comic-Markt mit
schwarzhumorigen Geschichten revolutionierte. Man kann getrost sagen, dass
das frühe "MAD" zu den einflussreichsten kulturprägenden
Zeitschriften des 20. Jahrhunderts gehörte - mindestens so sehr wie die
"Cahiers de Cinèma" oder die "Weltbühne".
Diese Zeiten waren 1967, als die erste deutsche "MAD"-Ausgabe
erschien, schon längst vorbei. Eine hysterische Jugendschutzkampagne,
die an die heutigen Debatten über Computerspiele erinnert, hatte dem
Comic-Imperium von Gaines den Garaus gemacht.
"MAD" überlebte als Satiremagazin und nahm seine hierzulande
bekannte Gestalt an. Doch gegen eine allzu große Verklärung der
Vergangenheit darf man daran erinnern, dass es auch in den Siebzigern schon
Leser gab, denen der ewig gleich gestrickte Humor von Don Martin oder des "Spion
& Spion"-Schöpfers Antonio Prohìas ausgesprochen auf
den Wecker gingen. Sie nahmen diese Langweiler nur in Kauf, um die
Filmparodien oder Sergio Aragones genießen zu können. Früher
war nicht alles besser. Manches war schon genauso doof wie heute. Und vieles
ist auch heute noch gut: Die Geschichte darüber, was an
Open-Air-Konzerten so nervig ist, ist so lustig, dass man sich gar nicht
fragt, warum einen denn so etwas im Winter interessieren sollte.