ABT. ALFRED MACHT PAUSE

Der folgende Artikel stammt aus "Die Welt" vom 5. August 1995.

Alfred E. Neumann wohnt nicht mehr hier

"Mad", das Magazin der doofen,
tückischen Witze und Cartoons, wird mit Nr. 300 eingestellt

mar Berlin - Trauer muß Alfred E. Neumann tragen. Und wir auch. Ein lieber Freund hat uns verlassen. Er war uns ans Herz gewachsen. Denn er sah gewiß nicht schöner aus als wir, sein IQ trat mit dem unseren nicht in Konkurrenz und den Mut zur Tücke, den er stets bewies, hätten auch wir gern gehabt. Damit ist es künftig vorbei - jedenfalls wenn wir nur des Deutschen mächtig sind. So bleibt uns nur, Alfred E. Neumann und "Mad" einen Kranz zu flechten, einen Kranz der Trauer (der, ganz im Sinne des Dahingegangenen, reichlich mit Niespulver zu bestäuben wäre). Wir alle, die wir unter dem Peter-Pan-Syndrom leiden, haben Alfred E. Neumann geliebt, weil er auch nicht erwachsen wurde.
 
Man sah es dem Burschen mit der obstinaten Zahnlücke und den Segelohren nicht an, daß er bereits ein veritabler Mittvierziger war. Die Zeitschrift, der er und die ihm zu Ruhm verhalf, hatte der Zeichner Harvey Kurtzman, damals 28 Jahre alt, mit William M. Gaines 1952 als "Tales Calculated to Drive You Mad" gestartet. Der Titel des Satiremagazins, das der arroganten Allüre des hochgestochenen "New Yorker" zum Trotz auf den Niederungen der Satire und des Witzes ein angenehmes einträgliches Lager schuf, firmierte bald nur noch als "Mad". Und Kurtzman ging bereits nach drei Jahren. Aber da war sein Kind nicht mehr umzubringen, obwohl das Konkurrenzunternehmen wie "Cracked", "Sick", "Help" versuchten. Vor allem hatte Alfred E. Neuman dank der Zeichenkünste von Norman Mingo (vom Jahrgang 1896) sein unsterbliches Gesicht und seine Gestalt gewonnen, die wie Jupiter in jeden Körper zu schlüpfen und ihn zu verunstalten vermochte.
 
Als dann in Deutschland alles anders werden sollte, hielt auch Mr. Neumann seinen Einzug. Clever kam er den 68ern ein Jahr zuvor. Seit 1967 konnten wir in Deutsch an seinen pubertären Scherzen teilhaben, konnten wir den Lektionen von "Spy vs. Spy" folgen, die sich jedesmal höchst einfallsreich auszulöschen verstanden, oder uns einen Kinobesuch ersparen, weil Mort Drucker - "Mad's maddest artist" - eine mit Kalauern und Sotisen gespickte Kurzfassung als Comic gezeichnet hatte. Und nicht zu vergessen die Blödmänner von Don Martin, die Werbeparodien von Bob Clarke, die detailfreudigen historischen Bilderstreifen von George Woodbridge oder die hinterhältigen Randzeichnungen von Aragones. Mit "Mad" kam man auch als Legastheniker zurecht.
 
Und an denen mangelte es offenbar in den 80er Jahren, als aus den 68ern Studienräte geworden waren, nicht. Da ließen sich 300 000 Exemplare verkaufen. Inzwischen ist es nur noch ein Zehntel, und das ist zu wenig. Herbert Feuerstein, jahrzehntelang Chefredakteur des deutschen "Mad", hatte bereits vor vier Jahren das Schiff verlassen. Klaus Recht, sein Nachfolger, schaffte es noch, es bis zur Nr. 300 über Wasser zu halten. Aber eine 301 wird es nicht mehr geben. Armer Alfred E. Neumann! Aber auch wir sind arm dran. Sollen wir etwa madlos erwachsen werden?
 
© DIE WELT, 5.8.1995